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Glyphosat – schädlicher für Mensch und Tier als bisher zugegeben

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Im Frühjahr 2017 war es wieder soweit. Felder, die gestern noch grün waren, sind ein paar Tage später hässlich gelb, weil die Pflanzen gestorben, nein, getötet worden sind. Glyphosat heißt das „Wundermittel“, das Pflanzen so schnell und gründlich töten kann. Genau das wollen viele Landwirte alle Jahre wieder. Sie wollen zum Beispiel im Frühjahr ihre Felder mit Mais bestellen und spritzen dafür erst einmal alle dort wachsenden Pflanzen tot, um den Acker ohne Pflug reif für die Aussaat zu machen.

Auch Dauergrünland darf totgespritzt werden, um anschließend Mais anzubauen. Dafür braucht man allerdings sogenannte Umbruchsrechte, die aber gehandelt oder innerbetrieblich getauscht werden dürfen. Und wird totgespritztes Dauergrünland gleich wieder mit Kleegras oder Ackergras bestellt, gilt es weiterhin als Dauergrünland, aber die ursprüngliche Flora und Fauna geht verloren. Das ist nur einer der Gründe, warum der erbitterte Widerstand gegen Glyphosat weiterhin wächst.

Die Wirkungsweise von Glyphosat

Glyphosat ist eine geruchlose wasserlösliche Phosphor-Stickstoff-Verbindung mit ausgeprägter elektrischer Polarität. Die Pole sind so angeordnet, dass das Glyphosat nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip extrem genau in das aktive Zentrum des Pflanzenenzyms EPSP-Synthase hineinpasst. Dadurch wird das Enzym dauerhaft inaktiviert, so dass die Biosynthese der lebenswichtigen aromatischen Aminosäuren Phenylalanin, Tryptophan und Tyrosin vollständig zum Erliegen kommt. Stattdessen häuft sich eine Vorstufe für die Bildung der Aminosäuren als molekularer Müll in der Pflanze an. An dieser Wirkungskette stirbt die Pflanze.

Glyphosat wird nie in reiner Form gespritzt, sondern immer im Gemisch mit Hilfsstoffen, die dem Glyphosat das Anhaften an der Pflanze und das Eindringen in alle ober- und unterirdischen lebenden Pflanzenteile und Zellen ermöglichen. Kein zweites Enzym im Pflanzen- oder Tierreich ist bekannt, das durch Glyphosat genauso effektiv blockiert wird wie die EPSP-Synthase. Daraus wurde abgeleitet, dass Glyphosat für Mensch und Tier harmlos sei. Doch es macht die Dosis, die einen Stoff zu einer Medizin oder zu einem Gift macht. Das wussten schon die alten Griechen, und das gilt auch für das Glyphosat. Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr, dass Glyphosat in zu hoher Dosierung sehr wohl giftig für Mensch und Tier ist. Diese zu hohen Dosierungen werden immer häufiger erreicht. Das haben wir vor allem der Gentechnik zu „verdanken“ die den Verbrauch von Glyphosat lawinenartig anschwellen ließ.

Die Kehrseite der Anwendung von Glyphosat

Durch die Gentechnik wurden schon viele Populationen von Nutzpflanzen, unter ihnen Soja, Mais, Zuckerrohr und Baumwolle, resistent gegen Glyphosat gemacht. Auf Feldern mit solchen Nutzpflanzen konnten unerwünschte Wildpflanzen in der ganzen Vegetationsperiode totgespritzt werden. Das waren noch „herrliche“ Zeiten für die Farmer. Aber Vorsicht! Das Glyphosat tötet die resistenten Pflanzen zwar nicht, breitet sich in ihnen aber dennoch in alle lebenden Pflanzenteile aus, auch in die werdenden Früchte. Und fast noch schlimmer: Der Masseneinsatz von Glyphosat führte zur ungewollten, aber erfolgreichen Zucht von Glyphosat-resistenten Wildpflanzen. Dagegen halfen zunächst noch höhere Dosierungen der Pestizide. Aber so entstand eine Teufelsspirale, die die Glyphosat-Resistenz bei unerwünschten Wildpflanzen nur beschleunigte und den Glyphosatgehalt in den resistenten Pflanzen steigen ließ.

In Ländern wie Argentinien werden die Pestizide oft von Kleinflugzeugen aus auf die riesigen Felder gesprüht. Zwar müssen Dörfer ausgespart werden, aber vielfach wurden sie dennoch besprüht, weil sie auf dem Sprühkorridor liegen. In solchen Dörfern, die in Argentinien als „pueblos fumigados“ (eingenebelte Dörfer) bezeichnet werden, gab und gibt es auffällige Häufungen von Miss- und Totgeburten, aber auch von Brust- und Eierstockkrebs, Lymphdrüsenkrebs, Magenkrebs und anderen Formen von Krebs. Das fanden verschiedene Wissenschaftler-Teams heraus, zum Beispiel das um die Ärztin Silvia López 2012 und das um den Kinderarzt Dr. Medardo Avila Vazquez 2016. Die gleichen Effekte wurden auch bei Tierversuchen beobachtet, in denen die Tiere entweder allein dem Glyphosat oder einem Glyphosat-haltigen Pestizid in agrarüblicher Konzentration ausgesetzt wurden.

Die Häufung derartiger Beobachtungen und Erkenntnisse sorgten für Unruhe überall auf der Welt und riefen die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf den Plan. Die IARC prüfte alle verfügbaren Schriften zu diesem Problem und kam in seinem Abschlussbericht (IARC Monographs 112) am 26. Januar 2017 zu dem Schluss, dass Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ für Mensch und Tier und „mit hoher Sicherheit als genotoxisch“ (giftig für unser Erbgut) eingestuft werden muss. Möglicherweise sind diese Erbgutschädigungen der Grund für die zum Teil entsetzlichen Missbildungen bei Mensch und Tier.

Bei uns in der EU gilt das Vorsorgeprinzip. Häufen sich die Indizien, dass eine Substanz Krebs erregen oder das Erbgut schädigen kann, muss sie vom Markt genommen werden, vor allem wenn die Anwendung der Substanz mit der Zeit nicht ab- sondern zugenommen hat.

Das deutsche Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) beruhigt uns dennoch, trotz Kenntnis des IARC-Berichts, und verweist am 15. März 2017 zur Begründung auf die Europäische Chemikalienagentur (ECHA), die „nach evidenzbasierter Bewertung“ der Daten gefunden habe, „dass eine Gefahreneinstufung von Glyphosat als krebserregend, mutagen oder reproduktionstoxisch nicht gerechtfertigt ist.“ Offenbar haben das BfR und die ECHA nicht bedacht, dass ihre Gefahreneinstufung für erhöhte Konzentrationen von Glyphosat, wie sie für resistente Pflanzen mittlerweile üblich sind, nichtig und also falsch ist.

Sievert Lorenzen

erschienen im PROVIEH-Magazin 02-2017


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