Viele Grundwasservorkommen in Deutschland weisen erhöhte Nitratwerte auf. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes (Uba) von 2014 übersteigen bereits 15 Prozent der Grundwasservorräte in Deutschland den Nitratgrenzwert von 50 Milligramm pro Liter, Tendenz steigend. Hauptursache ist die industrielle Massentierhaltung: Denn viele Tiere produzieren viel Gülle.
Sorgenkind Grundwasser
In der Gülle stecken große Nitratmengen (Stickstoffverbindungen) sowie Phosphor und andere Nährstoffe. Das macht sie zu einem wichtigen Wirtschaftsdünger. In einem geschlossenen Nährstoffkreislauf eines landwirtschaftlichen Betriebs ist die Ausbringung von Gülle eine gute Sache. Doch in der Massentierhaltung fällt derart viel Gülle an, dass viele Böden inzwischen überdüngt sind. Die Pflanzen können die hohen Nitratmengen nicht mehr aufnehmen und die überschüssigen Nitrate versickern im Boden oder gelangen umgewandelt als Treibhausgase in die Atmosphäre. So kommen sie auch ins Grundwasser, in Bäche, Flüsse und Meere. Wird die Speicher- beziehungsweise Aufnahmekapazität der Böden und Pflanzen überschritten, führt das unweigerlich zu einer Belastung und Verschmutzung. Der Kreislauf ist nicht mehr im Gleichgewicht. Wird Nitrat über die Nahrung aufgenommen, wandelt es sich im Körper zu Nitrosaminen um. Diese stehen im Verdacht krebserregend zu sein. Für Säuglinge kann Nitrat im Wasser zur Erstickung führen, denn die Nitrosamine behindern den Sauerstofftransport im Blut. Nitratbelastetes Wasser wird mit hohem Kostenaufwand gesäubert, um es trinkbar zu machen. Die Kosten trägt der Steuerzahler.
Medikamente im Boden
Das durchschnittliche jährliche Gülleaufkommen in Deutschland liegt bei rund 310 Millionen Kubikmeter. Zum Vergleich: Das ist in etwa so viel wie die Wassermenge aus 99 olympischen Schwimmbecken (50m x 25m x 2,5m). Hinzu kommen heute noch jede Menge Pestizide, Herbizide und Insektizide, die auf die landwirtschaftlichen Flächen ausgebracht werden. Diese belasten die Böden und das Grundwasser zusätzlich. Eine weitere Gefahr lauert in den Medikamenten, die mit der Gülle auf die Felder gelangen. Die industrielle Massentierhaltung kann nur durch den massiven Einsatz von Antibiotika bestehen. Auch Mittel gegen Parasiten, Entzündungen und zur Behandlung von Pilzinfektionen sowie hormonell wirksame Substanzen werden häufig gegeben. Doch je nach Wirksubstanz werden bis zu 90 Prozent der Wirkstoffe nach der Verabreichung unverändert wieder ausgeschieden. Viele dieser Wirkstoffe halten sich lange in der Umwelt, reichern sich an und sind wasserlöslich. In Bächen und Flüssen sind viele dieser Arzneimittel nahezu flächendeckend nachzuweisen. Selbst im Grundwasser sind bereits Arzneimittelrückstände gefunden worden.
Bislang sind die Langzeiteinflüsse der Wirkstoffe auf die Bodenflora und –fauna nicht abzusehen. Es kann allerdings gesagt werden, dass sie eine abtötende Wirkung auf Bakterien und Parasiten haben. Zudem können Antibiotika-resistente Organismen durch Antibiotikarückstände gefördert werden und dadurch die Flora des Bodens in ihrer Zusammensetzung verändern.
EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen Deutschland
Durch die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft hat die Europäische Union Strategien und Ziele zum Umweltschutz entwickelt und formuliert. Seit 1991 gibt es die EU-Nitrat-Richtlinie, 2000 folgte die EU-Wasserrahmen-Richtlinie und zuletzt 2008 die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Alle Richtlinien dienen dem Ziel, die Überdüngung aus der Landwirtschaft zu stoppen. Deutschland hat es bisher nicht geschafft, die Richtlinien in dem Maße umzusetzen, dass sich eine erhebliche Besserung der Situation ergeben hätte. Deshalb muss sich Deutschland jetzt vor Gericht verantworten.
Was können wir tun?
Auf den ersten Blick werden durch die industrielle Landwirtschaft billige Lebensmittel produziert. Doch wenn wir genauer hinschauen, erkennen wir, dass wir dafür teuer bezahlen. Gerade der Hunger nach massenhaft produziertem, billigem Fleisch zerstört unsere Böden und damit unsere zukünftige Lebensgrundlage. Die Landwirte befinden sich inmitten eines ungesunden Wettbewerbs, den am Ende alle teuer bezahlen: Es gewinnen diejenigen, die die Kosten am besten auf die Allgemeinheit und auf unsere nächste Generation abladen können. Bereits heute mussten Wasserversorger in Deutschland einige Brunnen aufgrund der hohen Nitratbelastung schließen. Boden, Wasser und Luft sind essentiell für unser (Über-)Leben und die Grundlage unserer Ernährung. Deshalb sollten wir keine Zeit mehr verlieren – bezahlen wir heute einen fairen Preis für unsere Lebensmittel, entscheiden wir uns damit für eine nachhaltige Landwirtschaft, die auch unsere Enkel und Urenkel noch ernähren kann.
Stefanie Pöpken
Beitrag der Tagesschau, 07.11.2016: Klage wegen Nitrat-Belastung in Deutschland - Ignorieren, hinhalten, versagen